Diese
Partie entstand eigentlich nur aus einer Laune heraus. Ziel war es,
das PC-Modul
mit dem Mephisto Modular im Zusammenspiel zu testen. Nachdem ich
meinen alten Pentium-PC im DOS-Modus gestartet hatte, führte ich den
Programmaufruf von Genius
5
(Richard Lang) aus und stellte im Menü die Verbindung zum
Schachcomputer (=Modularbrett) her.
In
der Folge spielte ich die Eröffnung eher in belangloser Weise, denn
im Vordergrund stand die technische Funktion. Ich wollte
sicherstellen, dass diese korrekt vorhanden war.
Erst im Übergang zum Mittelspiel fand ich die Stellung interessant und wollte sehen, was sich daraus entwickeln könnte. Im Prinzip war es der 18. Zug mit Läufer d3, wo ich entdeckte, dass da vielleicht auch mehr drin sein könnte als nur so dahin zu spielen. Also beschloss ich, den schwarzen Turm auf e4, danach auf e6 zu bedrohen um dasselbe über d7 fortzuführen und seinen zweiten Turm auf d8 ins Visier zu nehmen.
Aber
jetzt zuerst hier die Notation der Partie gegen das Programm.
Weiß:
das war ich selbst
Schwarz:
Programm Genius 5
(Elo: 2333)
PC-
Pentium III 667 Mhz ( DOS
7.0 Modus)
Interface:
PC- Modul over LPT1
+
Mephisto Modular Brett
Datum:
05.11.2020
Analyse
erstellt durch:
Stockfish 14
und Naum 4.6
Eröffnung:
D45:
Damengambit (Anti-Meraner Variante)
1.d4 c6
2.c4 d5 3.Sc3 Sf6 4.e3 e6 5.Sf3 Sbd7 6.cxd5 exd5 letzter
Buchzug
7.Le2 [
7.Ld3!?= ist eine
Alternative ] 7.Ld6
8.Ld2 [
8.Dc2 0-0 ] 8 0-0 9.Dc2 Te8
10.Sh4 [
10.Ld3 De7 ] Naum 4.6 erwog
g6 um Sf5 von Weiß zu verhindern]
10…Sf8
[ 10…Lc7!?-+ ]
11.Sf5
Lxf5
12.Dxf5
Weiß hat das Läuferpaar
Sg6 [ 12…Se6 13.0-0 ] Naum
4.6 mit der Idee b5 um den Springer von f8 über d7, b6 nach c4 zu
bringen.
Seitens
Stockfish 14 stünde auch Tc8 im Raum, danach mit Se6 als Idee um auf
den wBd4 Druck auszuüben.
13.Dh3 [
13.0-0 Sf8= ] 13…Se4 [ 13…Sf8 14.0-0 ]
14.Sxe4
Txe4 15. g3 es geht um
f4 Den machte ich mehr
intuitiv. Stockfish ist absolut gleicher Meinung – ach wie liebe
ich das Db6 Schwarz
droht Materialgewinn:
Db6xb2
16.Lc3
Lb4 [ 16…Sf8 17.0-0 ] 17.0-0 Tae8 [ 17…Sf8 18.a3 Ld6 19.Ld3 ]
18.Ld3 [ 18.a3 Lxc3 19.bxc3 T4e7± weil
es den direkten Angriff verhindert hätte
] 18…T4e6
19.Lf5
ein naheliegender Zug, den
Stockfish aber nur als ausgeglichen bewertet. Im Nachgang käme der
schwarze Turm auf f6 was die Partie in eine andere Richtung gebracht
hätte. Die Stellung wäre dennoch =
in der Bewertung [ 19.a3!?
Ld6 20.b4± ]
19…T6e7
20.Ld7 Weiß droht
Materialgewinn: Ld7xe8
Td8 Schwarz
droht Materialgewinn: Td8xd7. Auch Ta8 wurde in Erwägung gezogen.
Alternativ erwägt Naum 4.6 auch Turm b8, allerdings ohne in der
Bewertung (-0.01)
den Remishorizont zu überschreiten.
Ansonsten
bleibt Td8
der richtige Zug (0.00). Mangels sinnvoller Fortsetzungen, die
prinzipiell gewinnführend wären.
21.Lf5 [
21.Lg4 Sf8= um die
Stellungswiederholung zu umgehen
] 21…Tde8 [ 21…Sf8 oder
a6 wäre Stockfish bestrebt das Spiel am Laufen zu halten.
22.Ld3=
als Alternative
] 22.Ld7 Weiß droht
Materialgewinn: Ld7xe8 Td8
Schwarz droht
Materialgewinn: Td8xd7
23.Lf5
Tde8 = [mit Sf8,
gleichermaßen mit 0.00 bewertet, hätte SF14 ggf. die Partie
fortgesetzt]
3-fache
Stellungswiederholung
(Remis)
Ergebnis:
½-½
Genius
5
entschloss sich in dieser Situation zu einer 3-fachen Wiederholung
der Stellung. Programme agieren im Rahmen ihrer Routinen. Die
Algorithmen forcieren seit Genius
4
in eher ausgewogenen Stellungsbildern das Remis. Das Problem ist,
dass das Programm nicht weiß, ob der Gegner eine Maschine oder ein
Mensch ist. Desweiteren nicht ob der Kontrahent stark spielt oder
nicht, beziehungsweise wo dessen Schwächen oder Stärken liegen. Für
die Software sind keine Indikatoren vorhanden, die eine explizite
Einschätzung ermöglichen, wie ich in diesem oder jenem Teil der
Partie spielen würde.
Wie
beeinflusst das die Herangehensweise im Verlauf einer Partie?
Vereinfacht
ausgedrückt, ich hätte eine der oben aufgeführten Varianten
spielen und die Stellung verkomplizieren können. Manche Spieler
machen das, weil sie so beim Gegner Fehler provozieren um dann im
Endspiel durch bessere Strukturen zu gewinnen. Sinnvoll ist diese
Strategie nur dann, wenn ein Sieg durch Erzwingen von Ungenauigkeiten
real greifbar ist, weil ein Überziehen der Stellung auch den Verlust
bedeuten kann.
Ich
wollte das unter Berücksichtigung der Spielstärke von Genius
5
nicht tun. Die feine Abwicklung ins Remis ist mir sehr
entgegengekommen. Ein starker Turnierspieler, der in einem
Mannschaftskampf spielt, würde an dieser Position weiterspielen,
vorausgesetzt, das ihm die Daten ( Elo-/ DWZ ) des Spielgegners
bekannt sind.
Das
ist dann vom Prinzip wieder gleich. Das vorliegende Datenmaterial ist
der Punkt, der soweit entscheidet. Das ist die Grundlage jedweder
Vorbereitung. Im allgemeinen basiert jedes größere Turniergeschehen
auf diesen Datenbanken. Das beinhaltet die publizierten Partien, die
Eröffnungssysteme der einzelnen Spieler, die Ligazuordnung sowie
deren internationale Elozahl respektive nationale DWZ-Einordnung.
Das
sind die zugrundeliegenden Faktoren, auf denen die Schwachstellen des
Gegners abgeklopft werden. Die Spieldynamik wird natürlich begrenzt,
je mehr statisches Wissen vorliegt. Irgendwann stößt alles an seine
Grenzen. Heute ist Schach wissensgestützt auf Computeranalysen und
vielfältigste Datenbankabfragen gegründet. Objektiv beurteilt ist
das Spiel perfekter geworden. Ob es dadurch an Attraktivität gewinnt
oder verliert, das sei der Philosophie jedes einzelnen überlassen.
Jetzt,
wo das Weltmeisterschaftsmatch 2021
in Dubai (24.
Nov. -16. Dez.) ansteht, werden wir wieder erleben dürfen wie in
Nuancen und akribischer Vorbereitungsleistung um den Titel gekämpft
wird. Die Protagonisten sind der amtierende Weltmeister Magnus
Carlsen
aus Norwegen sowie sein Herausforderer Ian
Nepomniachtchi
aus Russland.
Es
würde mich nicht wundern, wenn das Sekundantenteam eigens für die
jeweiligen Rechenprozesse einen AMD
Ryzen Threadripper
mit 64
Kernen
verwenden würde. Nebenan käme noch eine NVIDIA
GeForce RTX 3090 24GB
GPU-Grafikkarte
ins Spiel. Kombiniert
mit SSD
und 256
GB RAM
wäre das für unsereins ein technisches Feuerwerk. Für den
super-professionellen Bereich gibt es da zweifellos noch mehr,
abgesehen von Netzwerken, die viele dieser Rechner enthalten. Ich
spreche da mehr vom Großrechnerbereich, einem ganzen Rechenzentrum,
insofern ein Team begrenzt darauf Zugriff hätte.
Wenn dann Spitzensoftware wie Stockfish14 NNUE und einige andere Top-Level-Programme eingesetzt werden, die jederzeit 128 Prozessorkerne ansprechen können, aller Endspieldatenbanken inklusive, so kann man sich vorstellen, welche Möglichkeiten existieren um effektiv einen Matchkampf vorzubereiten.
Übersehen
werden darf dabei nicht, dass KI-Programme
im Schach durch Millionen von Partien
und Positionen gelernt haben. Aus diesen Erkenntnissen und den damit
im Zusammenhang stehenden physischen IT-Strukturen
ist es möglich geworden
Verzweigungssuchbäume extrem weit durchzurechnen. Einerseits um
Löcher in bisherigen theoretischen Ansätzen zu schließen als auch
Neuerungen zu erforschen, die bisher unentdeckt geblieben sind.
Jedenfalls ist das Potential unermeßlich groß, etwas, das der
Entwicklung des Schachspiels massiv Vorschub leistet.
Springen
wir zurück zur Software von Richard Lang, dem GENIUS
5,
welches Mitte der Neunziger Jahre eines der besten Schachprogramme
auf dem Markt war. In jenen Zeiten konkurrierte es mit REBEL, mit
MCHESS, mit HIARCS, mit FRITZ, mit WCHESS und einigen anderen
Kreationen mehr. Die genauesten Werte finden sich im Direktvergleich
mit zahlreichen Games gegen die Elite der damaligen Zeit, die ich
erwähnt habe.
Spielt
das Lang-Programm Genius
5
einen Matchkampf gegen mich oder das Mephisto
MM II
Modul (programmiert von Ulf Rathsman), so ist dieser definitiv nicht
aussagekräftig. Zu weit klafft die wirkliche Distanz in beiden
Fällen auseinander. Ganz ähnlich wäre der Effekt, gäbe es einen
Matchvergleich zwischen Genius und Stockfish. Gleichermaßen wäre
hier der Klassenunterschied beträchtlich zu hoch als das dieser
einen Wert bzw. einen Bezug zur Spielstärke beider Programme hätte.
Es
beträfe nur das andere Extrem.
Früher war das Auftreten des zu vorschnellen Remis-Effekts häufiger. Witzigerweise ist mir das selber bereits passiert als ich die Caro-Kann-Eröffnung spielte, die im Aufbau so als ziemlich solide eingestuft ist. Sowohl die Software KALLISTO 1.82 (2109 Elo) wie auch der MEPHISTO ATLANTA (2087 Elo) und beide im Spielverhalten eher die Taktiker, schienen es für notwendig zu halten nach ca. 12 Zügen (nach der Stellungswiederholung waren es 14 oder 15) ins Remis einzulenken. Das war fast etwas irritierend und entsprach grundsätzlich nicht dem Angriffsstil, der diese beiden Programme auszeichnet.
Wahrscheinlicher ist es, dass diese vorzeitige Blockade und Abdriften ins Unentschieden folgenden Grund hat. Durch die Initiative, die in etwa im 12. Zug von mir aus ging, wurde den Programmen der Übergang ins entstehende Mittelspiel zu gefährlich und zwar schlicht aus ihrer subjektiven Beurteilung heraus. Denn selbst eine negative Bewertung, die nur mit sehr geringfügigen (z.B. im Bereich von -0.40) Komplikationen verbunden ist und irgendwo in den Verästelungen des Suchbaums als solche wahrgenommen wird, kann jenen Effekt auslösen. Keine Ahnung, ob ich dieses Phänomen „Remis-Schleife“ nennen soll oder nicht. Jedenfalls sind es Eigenheiten in den Algorithmen, die eine Partie zu früh verflachen lassen und einen scharfen Verlauf häufiger verhindern können als gedacht.