AEGON 1997 – Dirk Daniel van GEET vs Mephisto MILANO PRO

IM van GEET

2320 ELO

gegen COMP

Mephisto MILANO PRO

Human Rating FIDE: 2185 ELO

Wiki Turnier: 2128 ELO / Wiki Rapid: 2163 ELO

SSDF: 2076 ELO

USCF: 2220 ELO

BT-2630 (Stellungstest): 2156 ELO / BT-2450 (Stellungstest): 2126 ELO

Markteinführung: 1996

Eröffnungsbibliothek: 50.000 HZ

CPU: 32-bit Hitachi SH 7034/20 MHZ

ROM: 64kb, RAM: 4kb

Eingabe: Drucksensoren

Ausgabe: LC-Display/LED´s

Event: AEGON 1997 Den Haag

A01: Larsen-Eröffnung

Turnierpartie: 40/120

1.b3 e5 2.Lb2 Sc6 3.Sf3 e4 4.Sd4 Sxd4 5.Lxd4 d5 6.e3 Sf6 7.c4 letzter Buchzug

Lg4 8.Dc2 c6 9.h3 Lf5 10.cxd5 Sxd5 11.a3 Sf4! aktiver Zug, der etwas Taktik und Abwechslung ins Spiel bringt.

Der MILANO PRO in seinem Element.

Es geht weiter mit:

12.Db2 Se6 13.Lc3 Tg8 14.b4 Dg5 15.a4 Lg6 16.Sa3 Td8 17.Sc4 Td5 18.Sa5 Sd8 19.Sb3 Ld6 20.b5 Kf8 21.bxc6 Sxc6 22.Sd4 Sxd4 23.Lxd4 b6 24.h4 Dd8 25.Tc1 Lf5 26.Lc4 Ta5 27.Db3 Dc7 28.0–0 De7 29.g3 Ld7 30.Lb5 g5 31.h5

Kritische Stellung – Lxb5! und die Stellung würde noch halten.

Dann der Einbruch:

Lh3?? (Die schwarze Fehlentscheidung des COMP, die es noch schlimmer machte, wodurch die Bewertung mit ca. – 6.5 unversehens in den Keller raste) 32.Tc2 Le6 33.Db2 f5 34.Lf6 Db7 35.h6 Tg6 36.Tc6 Kf7

Die schnelle Wendung zu Ungunsten von VAN GEET

Die Tragik der plötzlichen Fehlgriffe. Unachtsamkeit? Ungeduld? Mitten in der Berechnung, nur um zuletzt gegebenenfalls den wesentlichen Gedanken zu übersehen, der im ersten Moment viel naheliegender gewesen wäre? Wie auch immer.

Jedenfalls war hier der Vorteil für VAN GEET direkt zu Ende und das Blatt wendete sich zu Gunsten des MILANO PRO. Diese Gelegenheit schlug er jedenfalls nicht aus, zumindest vorerst nicht.

Die Wende:

37.Le5?? (statt Txd6 zu ziehen. So aber zieht Sturm auf) Lxe5 38.Db4 Txh6 39.Tfc1

Der MILANO PRO strauchelt und katapultiert sich auf (= 0.00) zurück.

Stellung zu kompliziert?

Db8?? (Db7 oder De8 hätten ihn im Rennen gehalten) 40.Lc4 Da8 41.Lxe6+ Txe6 42.Tc8 Dd5 43.Df8+ Kg6 44.Dg8+ Kh5 45.Kg2 Lxg3!

Mit einem Remis ist der MEPHISTO noch nicht einverstanden.

Der nächste Zug bringt die Entscheidung.

Ohne viel wenn und aber:

46.Kxg3?? (Td8! hätte jedoch Remis gehalten). Somit ein weiterer Fehler unter Druck. Fast, als hätte der MILANO PRO auf diesen gewartet. VAN GEET hatte die Partie lange Zeit ungefähr ab dem Mittelspiel dominiert.

Bis zum 36. Zug übte Weiß starken Druck auf den Computer aus. Die schwarze Stellung drohte langsam einzubrechen bis im 37. Zug der Aussetzer passierte und die Situation änderte. Doch gab der COMP kurzzeitig seinen Vorteil im 39. Zug wieder auf.

Erstaunlich, aber gerade das war der Punkt, der die Schachcomputer jener Zeit zu extrem interessanten Gegnern machte. Zuletzt war es hier aber VAN GEET der nochmals in die Fehlerfalle tappte und im 46. Zug endgültig die Partie einstellte.

Die restlichen Züge aus der Notation

f4+ 47.Kh2 Th6 48.De8+ Kg4+ 49.Kg1 Df5 50.f3+ Kg3

Ein interessantes Matt in 4 Zügen (2 Varianten)

Weiß am Zug nach Kg3

Ergebnis: 0–1

Während der AEGONSchachturniere, die zwischen 1986 und 1997 in den Niederlanden stattfanden, waren teilweise sehr namhafte Spieler am Start, die bereit waren, die Herausforderung gegen die Maschinen anzunehmen.

Die Teilnehmer mischten sich in der Regel aus 50% Spieler gegen jene 50% Computer und Software, die ausgewählt wurden.

Im Durchschnitt erreichten die Schachcomputer sowie die damals neu entwickelte Schachsoftware einen Score von über 50% was deren Performance betrifft. In den Reihen der menschlichen Teilnehmer befanden sich auch einige Großmeister und Internationale Meister neben anderen starken Turnierspielern, die das Feld vergrößerten.

Dieses Event wurde der Maßstab, will man einen Überblick zur Einordnung bekommen, was Schachcomputer respektive Schachsoftware aus früheren Jahrzehnten bereits leisten konnten.

Novag Super Constellation vs Mephisto Montreux

Die beiden Teilnehmer sind in der Schachcomputerszene sehr bekannt. Trotzdem will ich sie kurz einführen und zusätzlich die hardware-technischen Unterschiede aufzeigen.

Novag Super Constellation

Der „Renner“ aus dem Jahr 1984. Hat durch seinen taktisch-intuitiven Spielstil einen beachtlichen Bekanntheitsgrad erlangt und genießt eher Kultcharakter. Diese Anerkennung bekam er teils durch ungewöhnliche, von ihm gespielte Meilensteine in einigen Schachpartien. Zum Anderen aber auch aufgrund seines unberechenbaren Stils, der auch Opfer nicht scheute.

Elo: 1782

Bibliothek: 20.000 HZ (Turnierbuch)

Strategie: Typ A + PSH Algorithmus

Programmierer: Dave Kittinger

Schnittstellen: Novag Printer + Chess Clock

ROM: 56 kb, RAM: 4 kb

Prozessor: 6502, 4 Mhz, 8-bit

Mephisto Montreux

Erschien im Jahr 1995 als sogenannte Special-Edition zur einstigen PCA-Schachweltmeisterschaft zwischen Garry Kasparov und Vishy Anand in New York.

Markenzeichen: sein Modellname, für den ein berühmter Ort in der Schweiz am Genfer See steht. Zudem sein integrierter ARM-Prozessor, welcher in Sachen Leistungsfähigkeit einer Intel 80486-CPU in nichts nachstand.

Das de Koning-Programm agierte im Angriff taktisch scharf und hatte seine Entsprechung letztlich in der 2.01 Engine „The King“.

Elo: 2088

Bibliothek: 380.000 HZ (Turnierbuch)

Strategie: Typ A+B

Programmierer: Johan de Koning

ROM: 256 kb, RAM: 128 kb (Hashtables integriert)

Prozessor: ARM 6, 14 Mhz, 32-bit

15 Minuten/Partie + 15 Sekunden/Zug Chess Computers 19.03.2023

Verwendete Analyseengine: Stockfish 14

C63: Spanische Partie (Jänisch-Gambit)

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 f5 4.d3 fxe4 5.dxe4 Sf6 6.0–0 d6 7.Sc3 Le7 8.Lc4 Sa5 letzter Buchzug.

9.Le2 [9.Lb5+ Ld7] 9…0–0 10.Ld2 [10.b4 Sc6 11.b5 Sa5=] 10…Lg4 [10…Kh8 11.a4=] 11.h3 Lxf3 [11…Ld7!?] 12.Lxf3± [12.gxf3? Kh8 13.f4 exf4–+] 12…Sc4 13.Lc1 Sb6 14.Le3 Sc4 15.Lg5

…Sxb2?? vergrößert seine Probleme (Bewertung schlägt auf -2.93 bei Tiefe 42 aus), statt den Springer auf [15…Sb6±] zu setzen. 16.Db1+- Sc4 17.Dxb7 mit knapp 3.xx im Vorteil [17.Db3 erleichterte Weiß die Gewinnführung 17…b5 18.Sxb5+-] wird jener ein Stück weit zurück geschenkt. Der Einschlag auf b7 war etwas zu vorschnell seitens des Super Constellation.

17…Sb6 18.Sb5 besser wäre[18.Lxf6 Txf6 19.Sd5 Sxd5 20.Dxd5+ Kh8 21.Tab1±] gewesen.

18…Se8? Statt gegenzusteuern wählte der Montreux abermals eine schlechtere Fortsetzung (- 1.80 Bewertung) anstatt[18…Dd7 19.Dxc7 Dxc7 20.Sxc7 Tac8±] zu spielen.

19.Lxe7+- Dxe7 20.Sxa7 Aber, Super Constellation verschenkt erneut, besser wäre diese Kombination[20.a4 a6 21.Sa7 Sf6+-] gewesen.

20…Dd7? Was den Mephisto Montreux nicht davon abhielt zum Ausgleich wieder einen fragwürdigen Zug (über – 2.xx) auszuspielen, statt[20…Sf6!? 21.Sc6 Df7±] zu wählen.

21.Lg4 [21.a4 gibt noch größeren Vorteil 21…Sf6 22.Sc6 Sc4+-] 21…Df7 hier schwächelt der Montreux erneut. Stärker wäre diese Abfolge[21…Da4 22.Sc8 Sxc8 23.Lxc8 Sf6 24.Le6+ Kh8 25.Dxc7 Sxe4+-] gewesen. Der Super Constellation jetzt mit + 2.75.

22.a4?? Das passte jetzt für den Super Constellation nicht mal halbwegs. Viel effektiver wäre hier [22.Sc8 und die Waage neigt sich zugunsten von Weiß 22…Sf6 23.Sxd6 cxd6 24.Dxb6 Sxg4 25.hxg4+-]. Wieder alles ausgeglichen.

22…Sf6 23.Sb5 Txa4 24.Txa4 Sxa4 25.Dxc7 Dxc7 26.Sxc7 Sc3 27.Le6+ Kh8

28.f3 Sichert e4 28…Sfxe4 29.Ta1 Se2+ 30.Kh2 S4c3 31.Ta7 Sd4 32.Lb3 Sxb3

33.cxb3 Freibauer für Weiß d5 34.Ta5 d4 35.Txe5

…d3 Schwarz spielt seinen Trumpf aus. Noch besser wäre [35…Kg8 36.Sd5 Sxd5 37.Txd5=]

36.Sd5 Se2 37.Se3 Td8 38.b4 Sc3 39.Tc5 39…Sa4 40.Tc7 d2

41.Sd1 Der weiße Springer blockiert den Bauern auf d2 41…Sb6 42.Tb7 [42.Tc2 Kg8] 42…Sc4 [42…Sd5 43.h4=] 43.Kg3 Kg8 44.Kf2 Td4 [44…Te8!? 45.Td7 Tb8=] 45.Ke2± Sd6 46.Td7 h5 [46…Kf8 47.h4 h5 48.Sc3±] 47.b5 Sxb5 48.Txd4 Sxd4+

49.Kxd2 Ein Turm/Springerendspiel ist entstanden. 49…Kf7 50.Ke3 Sf5+ 51.Kf4 51…Kf6 52.Sc3 g5+ 53.Ke4 Ke6 54.Sb5 Sg3+ 55.Kd3

h4 Schwarz erobert Raum 56.Ke3 Sh5 57.Kf2 Sf4 58.g3 hxg3+ [58…Sxh3+?? das Schlagen des Bauern ist schlecht 59.Kg2 g4 60.fxg4+-] und würde den Partieverlust für Schwarz bedeuten.

59.Kxg3 Kf5 60.Sd6+ Ke5 61.Sc4+ Kd4 62.Sd2 Ke3 63.Se4 Sxh3 64.Kxh3 Kxf3 65.Sxg5+ Unentschieden, weil nicht genügend Material zum Mattsetzen.

Ergebnis: ½–½

Auffällig ist, das sich mehr Genauigkeit überwiegend zum Mittelspiel hin einpendelte. Dieses eher selten gespielte Gambit im Spanier ist möglicherweise für die beiden Kontrahenten eine zu risikobehaftete Variante gewesen. Der Mephisto Montreux, eines der letzten starken Geräte aus dem Jahr 1995, hatte in dieser frühen Spielphase sogar mehr Aussetzer und konnte die Stellung meist mehr dadurch retten, dass der Novag Super Constellation gleichermaßen teils unverständlich seine Vorteile wieder zurück gab.

In gewissem Sinne also ein gegenseitiges Handshaking.

Solche Unwägbarkeiten machten die Geräte interessant, nicht nur weil sie sich dadurch als schlagbar herausstellten, was die aktuellen Schachprogramme schlicht nicht sind, sondern sie waren viel mehr die Bausteine in der technischen Entwicklung bis zum Erscheinen der Schachsoftware, welche inzwischen ein extrem hohes Level erreicht hat. Wodurch wiederum die eigentliche, tiefere Beurteilung schachlicher Qualität eher zur Aufgabe der künstlichen Intelligenz geworden ist.

In der vorliegenden Partie hat sich das Kräfteverhältnis ab der Mitte in etwa angeglichen und bis ins Endspiel haben sich die gegenseitigen Schwankungen in Grenzen gehalten. Die Fehlerlastigkeit war nach anfänglichen Aussetzern, gemessen mit der Analyseengine Stockfish 14, allerdings nicht mehr übermäßig groß.

Sowohl der Mephisto Montreux als auch der Novag Super Constellation sind Programme, die sehr taktisch-lastig ausgerichtet sind. Grundsätzlich bewegen sie sich in zwei unterschiedlichen Ligen. Aber so wie es oft unerwartet Außenseitersiege gibt, war es hier schlicht so, dass sich die beiden Computer zuletzt neutralisiert haben. Humorvoll an der Geschichte war, das sich der Novag Super Constellation noch einen Springer mehr sichern konnte, obwohl dieser Fakt schlussendlich das Endergebnis nicht weiter veränderte.

Die „passt sicher halbwegs“ Suchbaum-Methode des Novag Super Constellation von 1984 war häufig Garant für erstaunliche Wendungen in Schachpartien. Betreffs Genauigkeit in der Suche hatte sie ihre natürliche Begrenzung. Wohl und genau deshalb konnte er dafür zu unglaublichen Manövern fähig sein, die ihm, wenn auch vor langer Zeit, eine Menge Zuspruch einbrachten.

Ein Remis gegen den Mephisto Montreux würde ich als ein erstaunliches Ergebnis einstufen. Zum einen lagen über zehn Jahre Entwicklung zwischen den beiden Computern (was Hardware und Programmieren betrifft) und zum Zweiten war der Montreux einer jener Schachcomputer, die den ziemlich schnellen Übergang zur PC-Software-Generation markierten, in diesen Wandel jedoch nicht mehr wirklich aktiv eingreifen konnten.

Er entspricht weitgehend dem Tasc R30, der im Aegon Turnier von 1995 sogar den Alt-Meister David Bronstein besiegen konnte. Dies nur, um den ungefähren Rahmen des Möglichen aufzuzeigen, auch wenn Erfolge gegen prominente Gegnerschaft in dieser Form eher die obere Fahnenstange darstellten. Im Gesamtergebnis erreichte er aber einen beachtlichen Score von 55% aus 48 Partien zwischen 1993-1997 und schlug sich durchaus bemerkenswert.

Um eine verbindlichere Aussage zu erhalten, welche Elozahl realistisch mit Großmeistern und Internationalen Meistern korrelieren könnte, wurde damals eben dieses Projekt ins Leben gerufen. Gezielt wurde deshalb auf die Teilnahme von Schachcomputern und gleichermaßen die aufstrebenden Softwareprodukte neben starken Spielern im Aegon Turnier gesetzt um so eine möglichst messgenaue Annäherung zu erreichen.

Allgemeingültige Feststellungen wird es nicht geben und Schach ist in ständiger Veränderung. Dennoch ist erkennbar, die uralt-Schachsoftware hatte nicht nur wegweisende Funktion, sondern war selbst in stark besetzten Turnieren oftmals sogar ein schwer berechenbarer Herausforderer.