In der zweiten Partie im Jahr 1997 – jenem legendären Duell zwischen Garry Kasparov und dem IBM-Superrechner Deep Blue – manifestierte sich ein dramatischer Wendepunkt, der bis heute Anlass zu intensiver Diskussion und retrospektiver Analyse bietet. Konkret geht es um den Moment, in dem Kasparov eventuell den rettenden Zug – 45… De3 übersah, einen Zug, der ihm in der Stellung noch Remischancen eingeräumt hätte.
Diese verpasste Möglichkeit wird häufig als symbolisch für die damaligen Grenzen der klassischen Schachcomputer sowie das Zusammenspiel von großmeisterlicher menschlicher Intuition und maschineller Berechnung um das Jahr 1997 auf obersten Level unter Zeitlimit interpretiert.
1. Der Hintergrund und das Stellungsbild
Im Verlauf der Partie befand sich Kasparov in einer äußerst schwierigen Situation, die aus mehreren Faktoren resultierte:
- Druck der Maschine: Deep Blue, der IBM-Superrechner, setzte den Weltmeister fortwährend unter intensiven Druck, was den menschlichen Fehlerfaktor zusätzlich vergrößerte.
- Komplexität der Stellung: Die Stellung war so konstruiert, dass mehrere scharfe taktische und strategische Möglichkeiten miteinander konkurrierten. Der vermeintlich intuitiv erscheinende Zug 45… Dxc6 (der zweitbeste Zug) führt letztlich in weitreichende Schwierigkeiten, während 45… De3 – der rätselhafte, weniger offensichtliche Zug – die Gelegenheit geboten hätte, ein Gleichgewicht zu erzwingen.
2. Die verpasste Chance: 45… De3
Moderne Analysen durch Top-Engines wie Stockfish und Komodo haben gezeigt, dass 45… De3 eine Schlüsselrolle in der Stellung gespielt hätte.
- Schnelle Erkennung durch Top-Programme: Stockfish und Komodo erfassen diese Lösung in wenigen Sekunden. Ihr Algorithmus kombiniert tiefe Suchtiefe mit einer ausgeklügelten Bewertungsfunktion, die nicht nur die unmittelbare Taktik, sondern auch langfristige strategische Parallelen erkennt. Dadurch wird sofort klar, dass 45… De3 in die Tragweite einer beinahe ausgeglichenen Stellung führt.
- Unterschätzung der Tiefe: Früher hingegen, in einer Epoche, in der Schachcomputer (Generation 1980 bis 1995) hauptsächlich auf heuristische Bewertungen und begrenzte Suchtiefen angewiesen waren, konnte ein solch subtiler Zug wie 45… De3 oft nicht erkannt oder korrekt bewertet werden. Selbst starke Programme im Bereich zwischen 2300 und 2700 Elo – jene, die man heute als mittlere Amateur-Engines einstufen würde – benötigen manchmal eine gewisse Bedenkzeit, um den entscheidenden Zug als „rettende Möglichkeit“ zu identifizieren, ohne seine gesamte Tragweite sofort zu erfassen.
3. Kasparovs Sicht und mögliche Intuition
Kasparov resignierte damals in der Partie, deren Stellung er als hoffnungslos einschätzte.
- Bewusstsein der Mängel: Es erscheint plausibel, dass Kasparov – ein Spieler, der für sein tiefes Positionsverständnis bekannt war – sich der Tatsache bewusst war, dass 45… Dxc6 in die Irre führen würde. Dass er in diesem Moment nicht 45… De3 spielte, könnte also weniger auf Unkenntnis, sondern vielmehr auf den enormen psychischen Druck und die Komplexität der Stellung zurückzuführen sein.
- Menschlicher Faktor: Trotz aller Erfahrung und Intuition bleibt der psychologische Druck eines Spiels gegen einen Superrechner enorm. Unter solch hochspannenden Umständen kann selbst der beste Weltmeister Züge übersehen, die ein technisch und strategisch anders gewichtetes Programm schnell entlarvt hätte.
4. Vergleich der Leistungsfähigkeit von Schachcomputern
Alte Schachcomputer (Generation 1980–1995):
- Diese Systeme basierten häufig auf heuristischen Algorithmen mit begrenzter Suchtiefe und weniger flexiblen Bewertungsfunktionen.
- Ein Zug wie 45… De3, der eine tiefere strategische Weitsicht erfordert, blieb oft verborgen oder wurde falsch interpretiert. Die Tragweite solcher Züge konnte das System nicht voll ausschöpfen, was zu suboptimalen Entscheidungen führte.
Starke Engines im Bereich von 2300 bis 2700 Elo:
- Diese Programme repräsentieren eine Klasse, die grob mit einem internationalen Meister und darüber vergleichbar ist. Sie besitzen zwar ein solides taktisches Rechenvermögen, benötigen aber oftmals eine kleine „Anlaufphase“, um ungewöhnliche oder weniger direkte Lösungen zu finden.
- Ihre Bewertung von 45… De3 mag nach einer kurzen Verzögerung erfolgen, bevor sie schließlich die Aussicht auf ein Remis in der Stellung erkennen. Dies zeigt, wie der Algorithmus trotz seiner Stärke durch die Tiefe der Stellung „überfordert“ werden kann – wenn auch nur kurzzeitig (durch 45…Dxc6).
Top-Engines wie Stockfish und Komodo:
- Moderne Hochleistungsprogramme verbinden extreme Rechenkapazitäten mit fortgeschrittenen Bewertungsfunktionen, die es ihnen ermöglichen, ungewöhnliche Lösungen (wie 45… De3) rasch zu finden und ihre langfristige Tragweite zu analysieren.
- Diese Programme zeigen klar, dass in der betreffenden Stellung ein Remis möglich war, und sie spielen den Zug nahezu automatisch, ohne in den psychologischen Dilemmata zu verharren, die Kasparov mutmaßlich belasteten.
5. Schlussfolgerung
Die verpasste Chance, 45… De3 zu spielen, symbolisiert nicht nur einen technischen Fehltritt in einem einzelnen Spiel, sondern auch den Spannungsbogen zwischen menschlicher Intuition und maschineller Kalkulation. Während Kasparov vermutlich bereits erkannt haben könnte, dass 45… Dxc6 nicht funktionieren würde, zeigte sich der enorme Druck – und eventuell auch ein kleiner psychologischer Moment der Unentschlossenheit –, als er sich nicht für 45… De3 entscheiden konnte, insofern er diesen kurz in Erwägung zog.
Die Entwicklung von Schachcomputern verdeutlicht hier einen evolutionären Fortschritt:
- Alte Systeme hatten oft Probleme, tiefgreifende strategische Feinheiten zu begreifen.
- Moderne Engines hingegen erkennen solche Züge in Bruchteilen von Sekunden, indem sie sowohl taktische als auch langfristige strukturelle Konsequenzen in eine einheitliche Bewertung einbeziehen.
Aus heutiger Sicht hätte Kasparov, nach langjährigen Trainings mit einem Top-Programm wie z.B. Stockfish oder Komodo, den rettenden Zug 45… De3 denkbar sogar gespielt und die Stellung spekulativ noch in ein Remis retten können.
Die Partie bleibt deshalb ein Lehrbeispiel dafür, wie moderne Computer dem Menschen in der präzisen Positionsbewertung oft weit voraus sind – auch wenn der menschliche Faktor und der psychologische Druck letztlich selbst in den besten Händen zu Fehlern führen können.
Diese Abhandlung zeigt, dass der dramatische Moment in der zweiten Partie 1997 nicht nur eine Frage der Rechenleistung, sondern auch der psychologischen Belastung und des strategischen Verständnisses war – eine Lehre, die bis heute in der Schachwelt nachhallt.
Zweiter Teil:
Eine Auflistung alter Schachcomputerprogramme und zeitgemäßer Engineprogramme im Vergleich, beim Versuch, innerhalb von 180s eine Lösung für das Problem zu finden.
45…Dxc6 (zweitbester Zug)
Alte Schachcomputer von 1980-1995 und Engines in der Analyse:
Mephisto MM I (Lev 3)
Mephisto Rebel 5.0 (Lev 1)
Mephisto Berlin 68000 (Norml 06)
Mephisto Vancouver 68030 WM
Mephisto Montreux
Saitek Risc 2500 (1.04)
Tasc ChessSystem R40 (King 2.50)
Bad Chess Engine 0.4.4 180s +2,15
Comet B68 180s +1,68
CT800 V1.12 x64 180s +1,62
Naum 2.0 180s +3,12
Monarch 1.7 180s +1,18
BikJump 2.01 180s +1,44
Arminius 2018 180s +2,25
spark 1.0 180s +2,84
45…De3 (bester Zug)
Von den alten Schachcomputern der Jahre 1980-1995 gelang dies keinem.
Hier die Engines in der Analyse:
Stockfish 16 18s +0,88 180s +0,97
MadChess 2.2 25s +2,64
Alex 2.14a x64 15s +1,80
AICE 0.99.2 37s +1,69
Bison 9.11 26s +1,45
Fritz 5.32 60s +1,31
Deep Gandalf 7.0 x64 128s +1,79
Zappa 1.1 50s +2,23
Maverick 1.5 x64 28s +1,76
Fruit 2.3 37s +1,91
Bit-Genie 9 65s +0,62
Komodo 6 9s +0,81
Komodo 8 36s (Remis) +/- 0.00 (103s +0,46 2.Suche)
Texel 1.05 50s +1,34
Rodent II 0.9.68 161s +0,96
Marvin 6.2.0 1s +2,97 168s +0,91
Fritz 11 111s +1,01
CT800 V1.45 x64 34s +1,45
Wasp 3.75 141s +0,33
Stockfish 13 176s +0,77
Muse 0.899b 38s +1,64
Die Analysewerte in der Datei zeigen eindrücklich den Unterschied in der Leistung und Denkweise zwischen den älteren Computern (1980–1995) und den modernen Top-Engines. Hier einige zentrale Schlussfolgerungen, die sich aus diesen Daten ableiten lassen:
1. Unterschiedliche Zugpräferenzen und deren Bewertungsprofile
45…Dxc6 versus 45…De3:
- 45…Dxc6 (zweitbester Zug):
- Die älteren Programme und sogar einige Engines im mittleren Elo-Bereich (zwischen 2300 und 2700) neigen dazu, diesen Zug zuerst in Betracht zu ziehen.
- Die Bewertungen liegen hier oft im Bereich von +1,2 bis +3,1, was auf einen deutlichen, aber nicht überkritischen Vorteil für Weiß hindeutet.
- Diese Bewertung signalisiert, dass die alte Computerlogik zwar taktisch zwingende Züge findet, aber die langfristigen strategischen Perspektiven nicht vollständig erfasst.
- 45…De3 (bester Zug):
- Moderne Engines wie Stockfish, Komodo und weitere (z. B. Fritz 11, CT800 V1.45) entdecken diesen Zug bereits innerhalb von Sekunden (oder 1-3 Minuten).
- Bewertungszahlen liegen hier typischerweise nahe bei +0,8 bis knapp über +1,4 (in einigen Fällen leicht höher, wenn man sekundär weniger Bedenkzeit berücksichtigt).
- Das deutet darauf hin, dass – trotz eines leichten materialmäßigen oder positionsbezogenen Vorteils für Weiß – sich die Stellung in ein nahezu ausgeglichenes Remis transformieren lässt, wenn Schwarz den starken Zug 45…De3 einsetzt.
2. Fortschritte in der Rechenkapazität und Bewertungsalgorithmen
Moderne Engines vs. alte Schachcomputer:
- Alte Schachcomputer (Generation 1980–1995):
- Diese Systeme hatten begrenzte Suchtiefen und stützten sich überwiegend auf feste heuristische Muster.
- Ein Zug wie 45…De3, der eine subtile Positionsumstrukturierung erfordert, blieb oft verborgen – manchmal sogar unentdeckt.
- Die Bewertungsfunktionen dieser Geräte waren weniger flexibel und konnten die langfristigen strategischen Implikationen weniger gut einordnen.
- Moderne Top-Engines (Stockfish, Komodo, etc.):
- Diese Programme kombinieren extreme Rechenleistung mit sehr tiefen Suchbäumen und fein abgestimmten Bewertungsfunktionen.
- Sie erkennen nicht nur taktische Züge, sondern erfassen auch die langfristige Positionstugenden, etwa die Möglichkeit, das Remis zu erzwingen, indem eine schlanke, aber solide Stellung erreicht wird.
- Die vergleichsweise geringe Bewertungsdifferenz (+0,3 bis +1,1) bei 45…De3 zeigt, dass moderne Engines diese Stellung als nahezu ausgeglichen beurteilen und damit eine Remischance signalisieren.
3. Psychologischer und praktischer Kontext
Für Kasparov war die verpasste Chance eines Zugs wie 45…De3 – den moderne Engines innerhalb von Sekunden erkennen – ein bitterer Beleg dafür, wie menschliche Grenzen (vor allem unter enormem Zeit- und psychologischem Druck) zum Versäumnis führen können. Kasparov gab an diesem Punkt die Partie auf. Das entscheidende Element war hier Tiefenrechenleistung.
Die Daten zeigen zudem, dass selbst starke Programme im mittleren Bereich (2300 bis 2700 Elo) oft erst nach einer kurzen Verzögerung – wenn sie genügend Rechenzeit erhalten – 45…De3 spielen ohne seine vollumfängliche Bedeutung zu erkennen. Dies unterstreicht den enormen Vorteil moderner Algorithmen: Sie eliminieren den psychologischen Druck, den der Mensch empfindet, wenn er eine Stellung intuitiv beurteilen muss.
Schlussfolgerung
- Verpasste Chance Kasparovs:
Auch wenn er den rettenden Zug 45…De3 vielleicht in Erwägung gezogen hat, war die Erfassung der langfristigen Möglichkeiten in der realen Spielpraxis – unter Zeitnot und psychischem Druck – eine Herausforderung, die selbst einen Weltmeister ins Straucheln bringen kann. - Moderne Engine-Qualitäten:
Top-Programme wie Stockfish und Komodo demonstrieren durch ihre schnelle und präzise Analyse, dass sie den tiefgründigen Charakter der Stellung besser erfassen können. Damit wird klar, dass Fortschritte in der Softwareentwicklung und Rechenleistung dazu geführt haben, dass solch subtile, aber entscheidende Züge heute routinemäßig gefunden werden. - Lehre für die Schachwelt:
Der Vergleich zeigt eindrücklich, wie sich Schachprogramme weiterentwickelt haben und welche Rolle psychologische Faktoren und menschliche Begrenzungen in hochkomplexen Stellungen spielen können. Für den Weltmeister von 1997 bedeutete dies eine verpasste Remischance – und für die moderne Schachanalyse eine Bestätigung der Überlegenheit der heutigen Technik im Erkennen und Bewerten tiefer Positionen.
Die Analyse legt nahe, dass der dramatische Moment in Kasparovs Partie nicht nur ein Versäumnis individueller Entscheidungsfindung, sondern auch ein Hinweis darauf war, dass die damalige Computerkapazität und Bewertungsfunktion noch nicht den heutigen Standard erreicht hatten. Aus heutiger Sicht ist 45…De3 ein Paradebeispiel für einen Zug, der – wenn er korrekt erkannt wird – das Spiel in eine fast ausgeglichene Stellung transformiert.